Mittwoch, 13. Oktober 2010
Ein ungeplantes Wochenende
Das erste Wochenende an dem Nichts anstand. Ich wollte dringend mal wieder raus in die Natur, so schön Jerusalem mit all seinen verwinkelten Gassen und seinen alten Bauwerken ist, von Mutter Natur ist hier leider nichts zu sehen. So zog ich los und legte mir erstmal einen Schlafsack, eine Isomatte, eine Taschenlampe und einen Kompass zu; eben alles, was man für ein paar Tage im Freien braucht. Natürlich in der Hoffnung, alles noch öfter nutzen zu können.
Eigentlich war ein Trip mit mehreren Volontären geplant, aber am Samstag fiel dann allen ein, dass sie ja doch alle etwas anderes vorhatten. Ich wollt unbedingt raus und so zog ich eben alleine los. Ich hatte mir überlegt, erst nach Ein Gedi an das Tote Meer zu fahren, dort das erste Mal in meinem Leben im Toten Meer schwimmen zu gehen und anschließend irgendwie nach Massada weiterzukommen. Das alles schien schon fast zu scheitern, als ich den Bus nach Ein Gedi knapp verpasste. Doch zum Glück war das nicht der letzte und so konnte ich nach zwei Stunden Wartezeit doch noch los. Während ich dort wartete, traf ich einen lustigen, farbigen Israeli, der kein Wort Englisch oder Deutsch konnte und sich trotzdem unbedingt mit mir unterhalten wollte. Er versuchte, mich zu überreden, mit nach Tel Aviv zu kommen, aber meine Pläne gingen ja doch in eine andere Richtung.

Um fünf Uhr Abends war ich dann letztlich in Ein Gedi und freute mich erstmal riesig auf das Wasser! Jetzt erst fiel mir auf, dass ich völlig vergessen hatte, Badesachen einzupacken, aber das Wasser war so anziehend, dass ich mich trotzdem - nur eben mit Boxershorts - ins warme Nass stürzte. Es ist wirklich lustig, wenn man das erste Mal im Toten Meer ist, man kann überhaupt nicht schwimmen und man muss sich wirklich anstrengen, wenn man mal senkrecht im Wasser sein will. Wirklich etwas für Nichtschwimmer und faule Leute ;-)

Trotzdem genoss ich es total, nach dem langen Warten und der langen Busfahrt endlich im Wasser sein zu können, besonders bei der tollen Aussicht: Im Westen die Berge von Jordanien, im Norden und Süden das Tote Meer, von Bergen und Wüste eingeschlossen und im Osten lediglich eine riesige Felswüste mit riesigen Bergen. Einfach toll, diese Landschaft: so karg und doch so schön!
Während dem Schwimmen kam ich mit einer deutschen Familie ins Gespräch, die sich dafür interessierten, was ich hier mache, so ganz allein und voller Tatendrang. Als sie hörten, dass ich noch nicht genau wusste, wie ich nach Massada kommen soll, boten sie mir sofort an, mich mitzunehmen, sie hätten sowieso noch einen Platz im Auto frei. Also fuhr ich mit ihnen nach Massada. Sie fanden es total gut, dass ich einen Freiwilligendienst hier im Heiligen Land mache und versprachen auch, mich in Jerusalem mal besuchen zu kommen. Mal schauen, was daraus wird!

Von Massade wird immer wieder berichtet: Bis vor einigen Jahren wurden hier die israelischen Soldaten vereidigt, denn seit sich jüdische Aufständische im dritten Jahrhundert n.C. unter der Belagerung von Römern restlos gegenseitig umbrachten, um nicht in die Hände der Römer zu fallen und versklavt zu werden, ist die Felsenfestung auf Massada ein Symbol von jüdischer Stärke und Widerstandskraft.
So war ich also abends um Sieben in Massada und wusste nicht so recht, was ich mit der Zeit noch anfangen sollte. Ich ging Richtung Nationalpark, mit der Hoffnung, wenigstens noch einen Blick auf den Weg, den ich frühmorgens am nächsten Tag erklimmen wollte, werfen zu können. Der Park war allerdings schon geschlossen und der Wachmann verbat mir auch gleich, als er mich mit meinem Schlafsack auf dem Rücken sah, in der Wüste zu schlafen. Es war auch schon stockdunkel, sodass ich den Weg nicht mal erahnen konnte. Doch wie man mich kennt, legte ich mich gerade mal 500 Meter weiter in einen kleinen Flusslauf, von der Straße natürlich nicht zu sehen und schlug mein Lager auf.

So genoss ich die Aussicht auf Jordanien und die Stille der Wüste um mich herum. Ich ging früh schlafen, um am nächsten Tag fit zu sein. Außerdem konnte man sowieso nichts mehr machen, weil es schon stockdunkel war und ich mich durch jegliches Licht sofort verraten hätte. Der Wecker stand auf Vier Uhr morgens, gehört habe ich ihn erst um fünf. Nach einer harten und steinigen Nacht machte ich mich also an den Aufstieg. Auf dem Weg frühstückte ich kurz: Ein Apfel und 1,5 Liter Wasser, für mehr war keine Zeit. Um viertel nach sechs war ich oben, doch zu spät: Die Sonne war bereits aufgegangen und es war schon brütend warm. Bis ich oben war, hatte es gefühlte 30° C und ich war völlig durchgeschwitzt.

In dieser „Kühle“ machte ich mich schnell daran, das Bergplateau zu erkunden. Es sind wirklich erstaunliche Ausmaße dort oben: Ruinen von prächtigen Badehäusern und Palästen, teilweise aus dem dritten Jahrhundert n.C. stammend, zeugten von einem großen Reichtum und warfen natürlich die Frage auf, wie damals alles auf den Berg gebracht wurde, wenn es heute schon Touristen aus der Puste bringt, sich nur selbst dort hoch zu schleppen... Besonders beeindruckend waren die erhaltenen Mosaikfußböden, Wandmalereien und auch das ausgeklügelte Wassersystem.

Das Schmelzwasser im Tal wurde aufgefangen, von Lasttieren die 300 Höhenmeter nach oben transportiert und dort in großen Zisternen aufbewahrt. Einfach unglaublich, dass so viel Wasser nach oben transportiert werden konnte, um Bäder zu betreiben. Nach einem etwas ausführlicheren zweiten Frühstück ging es dann wieder an den Abstieg, denn was einmal funktioniert, geht auch noch ein zweites Mal!

Unten angekommen, wurde die Frage immer größer, was man an einem solchen angebrochenen Tag noch machen könnte, es war ja schließlich erst halb zehn morgens. Einen Reiseführer hatte ich natürlich nicht dabei und so fiel meine Wahl auf Be’er Sheva, der Karte nach eine recht große Stadt, da muss es ja eigentlich etwas für Touristen geben! Es stellte sich heraus, dass der Bus erst in drei Stunden fahren sollte, was ich nutzte um auf einem Picknickplatz für die Busfahrer noch eine Runde zu schlafen, Mittag zu essen und um noch ein bisschen die Landschaft zu genießen. Als ich dann endlich im Bus saß, schlief ich fast direkt wieder ein und wachte erst kurz vor der Endstation wieder auf. So stieg ich aus und suchte nach einer Touristinfo, doch da war ich hier absolut falsch: Die Schilder alle nur auf hebräisch (in Touristenstädten meist zwei- oder dreisprachig). So ging ich erstmal in eine Einkaufsmall, einen Geldautomaten suchen und fragte den netten Wachmann, ob es hier etwas für Touristen zu sehen gäbe, der schaute mich an, fing lauthals an zu lachen und erklärte mir dann, dass ich der erste sei, der ihn jemals so etwas gefragt hätte und das es hier absolut nichts zu sehen gäbe. Lediglich eine israelische Großstadt.

Enttäuscht rief ich noch eine andere Volontärin an, die für mich kurz im Internet nachschaute, mir dann aber auch die ernüchternde Antwort geben musste, dass die mehr als zwei Stunden Busfahrt umsonst waren. Wenigstens war ich jetzt ausgeschlafen! Also lief ich noch etwas planlos umher, um dann den nächsten Bus heim zu nehmen. Hierher werde ich mich so schnell nicht mehr verirren.



Konzert von den „Toten Hosen“ in Tel Aviv
Sonntagabend war in Tel Aviv ein Konzert der deutschen Rockband „Die Toten Hosen“ angekündigt. Durch Zufall bekam ich am Freitagabend, als ich meinen Geburtstag feierte, noch die Möglichkeit, eine Karte zu ergattern: Ein anderer Volontär lag mit Lungenentzündung im Bett und konnte deshalb nicht mitkommen.

Die Chance ließ ich mir natürlich nicht entgehen und fuhr mit einer ganzen Gruppe anderer Deutscher abends, nach dem Oktoberfest, noch nach Tel Aviv. Dort angekommen, waren wir erstmal ziemlich fassungslos: Eine ziemlich kleine Bar (für alle Wieslocher: Etwa zweimal so groß wie der Rock & Pop Verein) und alles machte keinen sehr professionellen Eindruck. Hier sollten die Toten Hosen spielen?

Die Vorband spielte israelischen Punk, etwas gewöhnungsbedürftig, war aber dafür doch recht gut, man konnte es auch (fast) nüchtern ganz gut ertragen... Als dann eine Stunde später die Hosen auf die Bühne kamen, war die Menge schon völlig in Partystimmung: Schon in der Umbaupause wurden die ganze Zeit irgendwelche Parolen und Lieder angestimmt und die Stimmung war bereits echt gut, als die - inzwischen auch schon älteren - Herren auf die Bühne kamen.

Die Band legte gleich voll los und alle machten mit: Gleich ab dem ersten Lied wurde in den ersten Reihen getanzt, ich natürlich mittendrin :-) Die Toten Hosen gaben sich Mühe, ihre Ansprachen immer in drei Sprachen zu halten: Hebräisch, Englisch und Deutsch, was zu späterer Stunde aber dann auf fast nur noch Deutsch hinauslief. Kein Wunder: In dem Club, in dem maximal 300 Personen waren, waren maximal 30 Israelis anzutreffen. Alles war voll von deutschen Volontären und anderem deutschen partyfreudigem Volk; manche waren sogar extra aus Deutschland angereist für das Konzert.

Die „Deutschpunkband“, wie sie sich selbst gern nennen, lieferte ein geniales Konzert ab, im Repertoire waren von den Klassikern wie „Hier kommt Alex“, über „Alles Aus Liebe“ bis zu „10 Kleine Jägermeister“ alles vertreten, und auch die Lieder vom neuen Album „Strom“ waren vertreten. Campino legte trotz dem kleinen Club eine überragende Bühnenshow hin: Er sprang auf der Bühne herum, animierte die Leute, gab dem Menschenknäul vor der Bühne Wasser zum trinken, kletterte auf der Bar und der Empore herum, rannte durch den ganzen Club, mitten durch die Zuschauer. Am Ende übte er sich auch noch in seinem Lieblingssport „Stagediving“.

Alles in Allem ein wunderbarer Abend, den ich so schnell nicht vergessen werde! Es hat sich wirklich gelohnt, sich den Stress zu machen und nach dem Oktoberfest auch noch hierher zu kommen!



Deutsches Volksfest im Exil - Oktoberfest in Taybeh
Am Sonntag nach dem Gottesdienst brach eine kleine Delegation aus Jerusalem auf zu einem der größten Volksfeste in der Westbank: Dem Oktoberfest in Taybeh. In dem kleinen - erstaunlicherweise fast ausschließlich christlich besiedelten - Dorf Taybeh wird seit 1955 Bier gebraut, das Oktoberfest wurde erstmals aus Mitteln zweier großer gemeinnütziger Stiftungen ausgerichtet. Seitdem floriert die Bierbrau-Wirtschaft in dem kleinen Dorf in der Westbank. Das - nach eigenen Angaben - „Finest beer in the Middle East“ ist gerade in der größtenteils muslimischen Westbank auch in der alkoholfreien Variante sehr beliebt.

Als wir in Taybeh ankamen, machten wir erst noch einen kurzen Abstecher zur eigentlichen Brauerei. Dort standen fünf schwarze Geländewägen und viele nette Männer mit Ohrstöpseln herum - Besuch vom US-Botschafter? Man wird es wohl nie erfahren ;-) Die Brauerei ist sehr klein, eine große Garage mit fünf großen Braukesseln drin, mehr ist es nicht. Wie in dieser kleinen Halle so viel Bier hergestellt wird, ist mir immer noch ein großes Rätsel. Allerdings macht dies auch den unstetigen Geschmack etwas verständlicher: Da wohl öfter Wassermangel im Dorf herrscht, variiert der Geschmack je nach Abfüllungsdatum von süßlich-herb bis säuerlich-bitter ziemlich stark. Trotzdem ein sehr leckeres Bier - wenn man das richtige Abfülldatum erwischt!

An diesem großen Tag für das kleine Dorf war der Geschmack natürlich unübertrefflich, richtig gut, eisgekühlt, ein wirklich gutes Bier. Die Band und die Mittagshitze taten ihr übriges, dass sehr schnell eine ausgelassene Stimmung auf dem ganzen Platz war. Die israelische Band „Toot Ard“ von den Golan Höhen heizte allen mit einer interessanten und auf jeden Fall genialen Mischung aus Reggae, Tanzmusik und klassischen arabischen Rhythmen war einfach genial und hat super auf das Fest gepasst. Es wurde getanzt, gelacht und eine tolle Zeit zusammen verbracht. Einfach toll!

Anschließend wurden Oktoberfesttypisch (?) Wettkämpfe gemacht, traditionelle Volksmusikgruppen spielten zum Tanz und dann wurde es für uns auch schon Zeit zu gehen, wir hatten noch viel vor an dem Abend…

Der Bürgermeister (und Bruder des Brauereigründers und -besitzers) bedankte sich über Plakate bei allen Anwesenden für ihr Erscheinen. Die Veranstaltung war wirklich der Hammer! Jetzt weiß ich, was ich mir unter einem arabischen Volksfest vorzustellen habe.